Weit nach Mitternacht, im Mezzanin zwischen den Tagen, wenn es am dunkelsten ist, wirkt das Cufra wie ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit, von einem anderen Ort.
Hosenträger spannen das weiße Hemd über die breiten Schultern des Kellners, der durch die Reihen der roten Kunstleder Bänke auf uns zu kommt. Ein so sattes Rot, als hätte man es Marilyn Monroe von den Lippen gestohlen.
Es war einer dieser Abende als die Drinks zum Dinner wurden und man danach noch etwas trinken ging. Meine Augen flirren in der Frequenz der Neonröhren, als würde ich jeden Moment der Geburt eines schrecklichen Katers beiwohnen.
Wir haben Jameson getrunken. Viel davon. In diversen Varianten…
„Crested“, der wie dunkler Honig mit zu viel Phenol schmeckt, „Black Barrel“ mit noch mehr Phenol und einer Idee von Vanille, und den normalen, der, eben weil er niemandem zu großen Hoffnung machen will, ein guter Allrounder und dem Cutty Shark Geschöpf, welches hier ebenfalls überall ausgeschenkt wird, in jedem Fall vorzuziehen ist. Eskapaden, die ihren Tribut fordern.
Auf dem Tisch landen zwei Francesinha. Zwei Versprechen, die Sache doch noch in den Griff zu bekommen.
Die portugiesische Adaption des Croque Monsieur, mit Schinken, frischer Wurst, Steak und eigentlich jeder landestypischen Sorte Fleisch zwischen zwei Toastscheiben, überzogen mit geschmolzenem Käse schwimmt in einer würzigen Tomaten-Bier Sauce und ist eine Herausforderung auf dem Teller.
Der Legende nach eingebracht von Daniel da Silva in den 60er Jahren, ist es für diese Stadt so etwas wie das Nationalgericht.
Und hier und jetzt, wenige Stunden vor Sonnenaufgang, mitten im fantastischen Porto, nach zahllosen Gläsern, in einer Szene irgendwo zwischen den Sopranos und Twin Peaks fühlt es sich so an, als könnten die Francesinha vielleicht zwei Leben aber ganz gewiss den nächsten Tag retten.
Aus dem Diner, in ein Taxi und in wenigen Minuten zuhause. So der unausgesprochene Plan mit dem Zwischenziel, nicht auf der Rückbank einzuschlafen.
Als wir nach einer, nicht näher bestimmbaren aber gewiss kurzen Zeit aus dem Wagen steigen, stehen wir vor einer Kirche. Prächtig, pittoresk und prunkvoll mit den typischen bemalten Kacheln verziert aber ganz sicher nicht auf dem Heimweg gelegen und somit auch nicht Teil des Plans.
Unfähig zu protestieren folge ich Miguel durch die Menschenmenge, die den spitz zulaufenden Vorplatz des Aduela be-, oder vielmehr übervölkert. Englische, französische, portugiesische, niederländische und nicht zu deutende Sprachfetzen schwirren vorbei. Abgesandte aus ganz Europa und darüber hinaus trinken, lachen und rauchen im gelblichen Schein zweier Strassenlaternen.
Die Bar selber ist nur wenig mehr als ein Tresen, zu dem es sich durchzukämpfen gilt.
Es gibt diesen merkwürdigen Moment, diese kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten…
Es ist dunkel und man erreicht die Bar.
Zwei doppelte Jameson ohne Eis.
Man tritt heraus auf die Straße und es ist hell geworden.
Wie vielen Menschen ist wieviel Denkwürdiges oder Verdrängenswertes in dieser gefühlten Sekunde widerfahren? Gesichter haben sich gewandelt. Ewige Freundschaften sind beschlossen und wieder vergessen worden. Liebende haben sich, und wenn nur für eine Nacht, gefunden oder sich für immer entschlossen, getrennte Wege zu gehen.
Womöglich haben wir die letzte Runde nicht bezahlt. Die gefüllten Gläser, welche wir immer noch mit uns führen, während wir im Morgengrauen durch menschenleere Gassen hinunter zum Fluss laufen, sprechen eine deutliche Sprache.
Ich erinnere mich, vor Jahren hier gewesen zu sein. Damals waren ganze Strassenzüge rechter und linker Hand mit Brettern vernagelt. Verlassene Ladenlokale, verblasste Hoffnungen und geplatzte Träume…
Und heute?
Ich will nicht behaupten, dass Tapas Bars den prätenziösen Untergang der kulinarischen Kultur einer jeden Stadt darstellen, in der sie aufkeimen und sich mit rasender Geschwindigkeit zu verbreiten scheinen.
Der Aktionismus, dem nahenden Zusammenbruch der Wirtschaft eines ganzen Landes zu entkommen, welcher Menschen nach jedem erdenklichen Strohhalm greifen lässt, ist ebenso verzeihlich wie nachvollziehbar.
Aber hier in Porto, einer Stadt, deren Geist man ohne ihre originären lukullischen Genüsse zu erwähnen, überhaupt nicht verstehen kann, braucht es dergleichen nicht. Ganz sicher keine Tapas Bars. Man kann, und da bin ich mir sicher, seine freigelegten Knöchel über schwarzen Vans auch anderswo ebenso gut zur Schau stellen.
Also, was ist hier passiert? Was ist seit 2008, dem Moment des proklamierten Zusammenbruchs, dem Jahr des wirtschaftlichen Aufschreis geschehen? Und warum sind wir längst dazu übergegangen, den Titel der großen Europäischen Versager zunächst an Griechenland und bald vielleicht an Italien weiterzureichen, während der phänomenale Aufschwung hier in Portugal, dieses rigorose Herumreißen des Ruders mit Nichtachtung bagatellisiert wird?
Wurde da etwas versäumt?
Hätte man da nicht… ?
Was war denn da noch?
Kurz gesagt:
Die Sozialisten haben mit den Grünen und den Kommunisten koaliert, einen, weitaussen bis Mittelinks Block geschaffen und den Karren aus dem Dreck gezogen. Aufwärtskorrektur der Steuern für Spitzenverdiener und Grundbesitz…
Dann kamen die Touristen. Bratend an der Algarve, Fotografierend in Lissabon und schlendernd hier in Porto. Und während man ca. 2012 noch an nicht endenden, geschlossenen und verrammelten Ladenzeilen entlang spazierte, sprießen heute mit vehementer Kreativität die Stores, die Cafés und leider auch die Tapas Bars aus dem Auf und Ab des Kopfsteinpflasters der Altstadt.
Wir stehen hoch über dem Douro.
Die Sonne geht auf und wir leeren unsere Gläser.
Das Haus zu unserer Linken war mal eine Druckerei.
Und auch, wenn die heruntergekommene Fassade es nicht vermuten lässt, wohnen dort Menschen.
Vermutlich schlafen sie gerade.
Miguel verrät mir, dass die monatliche Miete bei 12€ liegt.
Gleichzeitig gibt es Gebote auf das Grundstück von weit über einer Million.
Alles ist im Wandel.
Jetzt und Hier.
An der Mündung des Flusses liegt der Atlantik.
Und wenn das Salzwasser die Füsse umspült, hat man das Ende des Kontinents erreicht.
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